Samstag, Mai 06, 2006

Turnschuhe machen einsam

Es ist Sommer! Na gut. Eigentlich ist Frühling. Revolutionen überall und sogar das Wetter läßt sich nicht mehr in die straffen Korsette der traditionellen Bauernregeln zwängen. In diesem Jahrhundert befreit sich alles. Die DDR von Rußland, ich von diversen Kerlen, Deutschland von Kohl und Schröder, die beiden Ingenieure von ihren Geiselnehmern, Eiweiß von Eigelb, Drüsen von Schweiß und Turnschuhe von Socken.

Wenn die beiden letztgenannten Beispiele aufeinandertreffen, entsteht in den Turnschuhen, wie es sich für eine anständige Revolution gehört, eine neue Lebensform. Höflicher als "organisch" vermag ich die Folge dieser Entwicklung kaum zu beschreiben. Allerdings sagt man nicht zu dem Mädchen in der U-Bahn, welches neben einem steht, während ihr unterstes Körperviertel gutgelaunt vor sich hinschwelt "hey, was hast du für tolle organische Schuhe an". Nein, man sagt gar nichts. Weil es unhöflich ist. Man denkt "IGITT" und versucht, dem durch die Luft wabernden Fußschweiß von drei Sommern auszuweichen, indem man nur noch durch das rechte Nasenloch Richtung Fenster atmet, mit innerem Kopfschütteln nach links auf die Stinkbomben schielt und fasziniert ist, daß biologische Waffen so harmlos aussehen können. Nun wundert mich gar nicht mehr, daß Hans Blix im Irak die Massenvernichtungswaffen nicht gefunden hat.

Übrigens atmet der Mensch bei Nasenatmung IMMER nur durch ein Nasenloch. Gut, zu 80 %. Aber das ist ja fast immer. Das ist ja schon eine zwei. Das Hauptnasenloch wechselt alle paar Stunden selbständig. Habt Ihr Eurer Nase so viel Eigenleben zugetraut? Ein nie endendes harmonisches Nasenloch de deux. Das ist Arbeitsteilung, das nenne ich Teamwork. Wenn das bekannt wäre, bräuchten Firmen keine Coaches mehr um teure Teamentwicklungen durchzuführen, die eh nix bringen, sondern die Teammitglieder nur den Hinweis, sich doch mal an die eigene Nase zu fassen.

Bei Heuschnupfen funktioniert das natürlich nicht. Also doch Coach.

Womit wir wieder in der U-Bahn landen. Direkt neben dem Mädchen mit den Stinkelatschen steht nämlich ein nicht mehr ganz so junger Mann mit den Augen eines Albinos, hübsch rot und feucht. Tränen rinnen aus dem Augenwinkel und alle zwanzig Sekunden kündigen leicht spastisch anmutende Zuckungen die nächste Rotztsunami an. Ach hätte ich doch Taschentücher dabei, ich hätte sie ihm gegeben. Wirklich. Da ich in meiner Tasche aber nur ständig ganz viel Müll, meinen Geldbeutel und ein Buch umherschleppe, könnte ich nur eins von den knüdeligen Exemplaren von ganz unten aus der Tasche anbieten, die ich schon benutzt habe. Die Geste zählt? Neinnein, das wäre genauso unhöflich gewesen, wie dem Mädchen mit mildem Lächeln eine Flasche Febreeze für jetzt und eine Dose Daktar für später in die Hand zu drücken.

So haben meine Eltern mich nicht erzogen.

Leider.

1 Kommentar :

Bob hat gesagt…

Grandios. Ich lach mich schlapp. Du machst aus den banalsten Erlebnissen ne echte Story. Hut ab:) "Rotztsunami"...ich kann nicht mehr:))))