In der Wohnung unter mir wird renoviert. Seit ungefähr zwei Stunden bemüht sich jemand, ein Loch in die Decke zu bohren. Jedoch nicht mit aufgekrempelten Hemdsärmeln und tollkühn schwellenden Bizeps und Trizeps. Es ist kein Held der Heimwerker. Dieser Bohrer gehört zu der zögerlichen Sorte. Ich sehe ihn nicht wie den Gott Thor mit Hammer in Nebelschwaden und Rauch, sondern mehr wie Mr. Bean. Vorsichtig ausgedrückt "zart". Etwas linkisch. Mehr so ein Mathestudent, der sich bemüht, einen Füller grade in der Hand zu halten und darüber schriftbildvernichtend verkrampft. Und schüchtern. Ja, schüchtern ist er bestimmt auch. Er möchte niemanden stören mit seiner Bohraktion am frühen Morgen (hier ziehe aber doch leicht tadelnd eine Augenbraue hoch...am frü-hen-Mor-gen...). Deswegen bohrt er wie einer dieser Hemmschuhe im Kino, die versuchen, möglichst leise einen Bonbon auszuwickeln.
Diese Klemmbretter möchten einen nämlich gar nicht wahnsinnig machen. Neinnein, sie versuchen nicht zu stören mit der Folge, daß sämtliche Umsitzenden nach drei Minuten Zeitlupenbonbonpapiergeknister auf 2000 dezibel ausschließlich damit beschäftigt sind, die Starttriebwerke, die sie von den Sitzen schießen wollen um dem jungen, angstvoll und entschuldigend um sich blickenden Mann die Süßigkeit zu entreißen, diese mit einer zackigen Bewegung zu entpacken, und ihm dann ganz tief in seine Speiseröhre zu rammen, im Zaum zu halten.
Der Film wird zur Nebensache. Das Leben schreibt doch die schönsten Geschichten. Und ich suche jetzt mal im Telefonbuch nach dem nächsten Aggressionstherapeuten.
Jetzt wißt ihr einen Grund, warum ich nicht gern ins Kino gehe. Ein anderer Grund ist die Unsitte, in Kinosäälen warme Mahlzeiten, die nach Käse stinken, zu sich zu nehmen. Die mit-den-Händen-Esser knartschen den Filmanfang fröhlich herum, um an der ersten spannenden Stelle des Films hektisch mit gespreizten Käsefingern nach einer Abwischmöglichkeit zu suchen und mir hierbei ihren Ellenbogen ins Jochbein jagen. Auch hier schaffe ich es nicht mehr, meine Konzentration auf dem Film zu halten, sondern schließe mit mir selbst Wetten ab, ob sie die Finger jetzt im Sitz des Vordermannes abwischen oder doch die eigene Jeans nehmen.
Spaß hätte ich daran, wenn ich während des Films einen anständigen Haufen Schweinebraten mit Gemüse und Kartoffeln essen könnte. Oder Kohlsuppe. Da hätte ich dann die ganzen zwei Stunden Spaß mit. Aber Jung und hip will Altpapier mit Kunstkäse. Wäh.
Ich mußte zum Glück schon lange nicht mehr ins Kino, weil kriminelle Energien meines Umfeldes mich stets mit den neuesten Erscheinungen auf gebrannten DVD`s erfreuten. Leider ist das schöne Leben jetzt vorbei. Ängste (happy börßtai Papi - noch fünf Mal singen) und Viren (meine Uhr hat seit neuestem 200 Sekunden) haben diesen Quell der Mainstream-Bildung versiegen lassen.
Bis ich Technikdepp also gelernt habe, selbst zu brennen, bzw. mein Computer erstmal überhaupt in der Lage dazu ist (noch hat er noch nicht einmal eine Soundkarte), geh ich also wieder ins Kino. Im Sommer habe ich ja zum Glück die Chance auf open-air. Dafür braucht man hier in Hamburg zwar eine wasserdichte Unterlage und einen anständigen Regenhut, aber damit werden wir hier ja geboren.
Jetzt hämmert er angstvoll der Mr. Bean. Ich hoffe, heute abend hat er das Loch fertig. Dann darf ich morgen wieder ausschlafen.
4 Kommentare :
Ich kann dich soooo gut verstehen. Deshalb meide ich auch immer häufiger die Lichtspielhäuser (und das mir als Filmfreak). Aber seit dem hab ich auch niemanden mehr geschlagen oder undefinierbare Flecken auf dem Hemd. Alles hat sein Gutes:)
nur die Beißspuren auf der Innenseite der Wangen, die sind schwer zu vermeiden... :)
Ach Kleines, ich bin 100prozent bei dir. Bei den Zwangshandwerkern, die ihrer Wand nicht wehtun wollen und deren Laubgesäge einer chinesischen Folter gleicht, die einem per stetem Wassertropfen das Hirn raushaut. Und natürlich bei den Kinogourmands. Das schlimmste hast Du allerdings vergessen: ICH WEISS NICHT, WELCHER VOLLIDIOT AUSGERECHNET POPCORN ALS DEN KLASSISCHEN KINOSNACK AUSERWÄHLT HAT. Popcorn. Es riecht - zumindest wenn man es wie ich nicht mag - wie ein alter Bierfurz und scheint nur essbar zu sein, wenn man für jeden dieser 500 kleinen Scheißbrösel mindestens 13,2 Sekunden lang in der Pappdose rumrührt. Macht exakt 110 Minuten, also die klassische Spielfilmlänge, bis das nervtötende Geschabber vorüber ist. Ein kulinarischer Rosenkranz. Ich hör lieber in der Küche Radio und lass mir die Filme erzählen.
Ist Euch schon mal aufgefallen, wie unterschiedlich die Leute Popcorn essen? Die Durchschnittsfrau wühlt ein wenig und nimmt dann einen Pop, steckt sich den Corn in den Mund und greift dann den nächsten. Der Durchschnittsmann wühlt in dem Eimer als gäbe es kein Morgen, greift sich eine ganze Handvoll der Körner und klatscht sie sich ins Gesicht. Dann mampft er diese Hand leer, wobei stets fünf bis acht der Poppies links, rechts, oben und unten herausfallen.
Ich werde beim Zusehen regelmäßig mental zum Kettensägenmörder.
Kommentar veröffentlichen