Dienstag, Dezember 23, 2008

Advent Advent

Hamburg, Innenstadt, kurz vor Weihnachten

Kunde: Guten Tag, sagen Sie, wo finde ich denn hier die Finanzkrise?
Verkäufer: Tut mir leid, Finanzkrise ist aus. Kommen Sie doch im neuen Jahr nochmal wieder.

Es heißt ja, dass die Menschen um die besinnliche Zeit ein wenig näher zusammenrücken. Und wo kann man das besser beobachten, als in der Vorweihnachtszeit auf der Mönckebergstrasse. Täglich tauchen aus irgendwelchen Ecken noch mehr Menschen auf, die endlich einmal wieder in kuscheligen dreissig Meter langen Schlagen für ein paar Weihnachtskarten anstehen wollen. Weihnachten ist ein Revivaltrip in die DDR. Das ganze Jahr haben wir darauf gewartet, uns auf den Weihnachtsmärkten mit Glühwein und Eierpunsch schon ein wenig in Stimmung gebracht, und allüberall wird gemeinsam gelacht und gefachsimpelt.

"Meine Schwiegermutter hab ich schon, ich muss jetzt nur noch fünf" hör ich. Von dem sonst so überpräsenten "wir schenken uns dieses Jahr nix" ist in der Innenstadt weit und breit nix zu spüren.

Find ich ja nix verwerfliches dran. In diesen Schlangen vor den Kassen stehend, kann man ja auch das eine oder andere schöne Gespräch verfolgen. So wie gestern, als ich mit meiner Energiesparglühbirne (Sagt man gar nicht mehr, ne? Glühbirne ist doch verboten) also Energiespareinschraubleuchtmittel, welches ich dringend benötige, weil ich sonst weiter morgens im dunklen duschen müsste, in der Schlange stand.

Zwei schätzungsweise achtzehnjährige Mädels mit Migratrionsschminkproblemen (ich weiss nicht, ob das am Alter, an der etwas dunkleren Hautfarbe, oder an der Jugend von heute liegt, diese Mädchen sehen immer aus, als hätten sie ihre Gesichtsmaske glattgeschliffen und dann fröhlich bunt angemalt. Hugh), stehen vor mir. Miniröckchen, Stiefelchen, Mäntelchen. Hübsch mit diesem leicht aggressiven Touch, den die Mädels von heute leider oftmals haben. Der Tonfall ist allerdings der, den man normalerweise bei schwulen Männern unterstellt:

Mädel 1: Oh, guck mal hier (zeig auf die selbstgebaute Totemmaske), ich krieg voll die Falten hier am Auge. Mmmmmhhh. Ob man die wegspritzen kann? Also ich finde das voll schlimm. Ej, da krieg ich doch total diese Lachfalten. Seufz

Mädel2: (wirft einen prüfenden Blick auf die Augenpartie der anderen, die die babypopoglatte Spachtelmasse zwischen Daumen und Zeigefinger eingeklemmt hält und so ein paar Falten simuliert) Hmmmmmmh, oh ja, das kenn ich auch. Aber am Auge kann man da ja gar nichts machen, ne. Das geht ja mehr so an der Stirn. Aber am Auge, nee, da kann man ja nur mit Creme. Oder man lacht weniger.

Mädel1: Hach ja, du hast ja recht, ich lach halt zu viel. Aber das ist auch so schwer, immer ernst zu gucken, ne?

Mädel2: Ja du, ich kenn das, ich bin ja auch so ein lachfreudiger Mensch. Ich krieg hier ja auch ne, aber weisst du, wenn man immer nur ernst guckt, kriegt man hier oben an der Stirn Falten.

Mädel1: Aber die kann man wegspritzen.

Mädel2: Aber so gar nicht lachen? Aber ich lach doch so gern.

Mädel 1: Ja, scheisse, ne?

Ja, scheisse. Ich musste nämlich ernst bleiben in der Schlange. Wenn ich da angefangen hätte zu lachen, hätten sie mich wahrscheinlich verkloppt. So hab ich mich damit begnügt, mir auszumalen, wie das ist, wenn die Süßen irgendwann das Alter erreichen, in dem sie merken, wo man sonst noch so alles Falten kriegen kann.

Ein weiteres Mittel gegen Falten, abgesehen von den Spritzen, hätte ich den Mädchen übrigens auch verraten können. Es hat auch sein Vorteil, schon etwas älter und lebenserfahrener zu sein. Aber ich wollte auch gern noch älter werden. Ansonsten hätte ich , politisch zwar inkorrekt, aber wahr, geraten, zum Christentum zu konvertieren. Dann nämlich muss man in der Weihnachtszeit essen, essen, essen. Und dicke Leute haben deutlich weniger Falten.

In diesem Sinne, haut rein, lasst es Euch gutgehen über die Tage, lasst Euch beschenken, esst und trinkt nach Herzenslust und im Januar machen wir dann alle zusammen eine Fastenkur

Dienstag, Dezember 16, 2008

Einszweidrei - einszweidrei

Als ich noch jung war, gab es dort, wo ich großgeworden bin, noch Saalfestivitäten in mehr als angemessener Zahl. Es wurde mit dem ganzen Dorf auf dem Saal geheiratet, dass es nur so eine Freude war, an Karneval gab es Faschingsbälle (Jaja, liebe Jecken, das konnten wir auch. Unter Einfluß von Asbach mit Lift ist so einiges möglich), Schützenbälle, Feuerwehrbälle, Bällebällebälle. Immer n büschn mit schickmachen und so und entweder mit Kapelle a la Heinz Strunk, oder mit Dietmar an der Orchesterorgel.

Die jungen Frauen kicherten in der Sektbar, die Jungens standen am Biertresen, die Alten hatten alles im Blick und eines zog sich durch sämtliche Veranstaltungen: Die Herren meiner Altersklasse bekam man zu 70 % nur unter Androhung von Liebesentzug nach Hinzufügung diversester alkoholischer Getränke auf die Tanzfläche. Da so eine Tanzerei im hohen Promillebereich nicht mehr so ganz die Sissyträume der Damen unterstützte, sondern eher in Richtung Sisyphusarbeit tendierte, da das Gleichgewicht für zwei gehalten werden musste, betrunkene Tänzer sind hemmungslos, haben wir damals aus Notwehr halt untereinander getanzt. Und Michaela war ein guter Herr. Tina konnte das auch ganz gut, und wenn die Herren zu fortgeschrittener Stunde anhänglicher wurden, spielte der Mann an der Orgel eh die etwas langsameren Lieder, wo man eigentlich nur ein wenig aneinandergelehnt herumstehen musste.

Was habe ich also gelernt als großes Axiom? Männer in meinem Alter tanzen nicht.

Denkste.

In diesem Jahr zeigt sich gerade in dieser Altersklasse (jetzt auch zwanzig Jahre älter) ein Trend, der mich verwirrt. Männer, die sich damals auf dem Parkplatz versteckten, weil sie auf gar keinen Fall weibisch umherhopsen wollten, rennen heute in Salsakurse, zum Tango, Standard und Latein, besuchen in Tanzschulen "offene Tanzgelegenheiten", bei uns hieß das damals "Tanztee" und ich warte schon gespannt auf den ersten, der mir erzählt, dass mittelalterliche Schreittänze das allergrößte sind.

Ist es der Rythmus, der die Herren zieht? Das sportliche Event? Die Herausforderung der Schrittfolge? Was ist es, was diesen Hype ausgelöst hat. Dirty Dancing war es nicht, der kam ja schon viel früher. Oder hat es einfach so lange gedauert, bis die Herren aus dieser Nichttanzermännlichkeit, mit der sie mich geprägt haben, herausgewachsen sind?

Ich vermute das in der Tat. Und ich vermute weiterhin eine unmittelbare Verbindung zu den allseits präsenten Kochsendungen. Früher kochte Mutti. Frauenkram. Wie tanzen. Heute kochen Laferlichter und Güngürmüs. Voll Witzigmann. Kochen, putzen und Haushaltssorge....ich halte die Emanzipation für abgeschlossen. Meinetwegen. Hauptsache, ich darf die Frau bleiben und muss weder beim Tanzen führen, noch Bohrmaschinen benutzen. Ich komm euch auch ein wenig entgegen und töte meine Spinnen selbst.

Auch im Wiegeschritt. Wenns nötig ist.

Donnerstag, Dezember 11, 2008

Blödes Gör

Zwar bin ich grade einmal wieder der Vierzig etwas nähergerutscht, dennoch fühle ich mich momentan ein wenig wie eine wirklich ätzende Zwölfjährige. Das Innenverhältnis zu mir selbst ist nun einmal nicht immer deckungsgleich mit der zumeist ausgeglichenen Aussenwirkung, die ich natürlich in gesellschaftlich angemessener Art und Weise anzupassen weiss.

Dieses ätzende Blag taucht turnusmäßig immer wieder ungefragt auf und ist die destruktive Seite der Sonne meines inneren Teams. Dieses Gör ist der personifizierte passive Widerstand, was sich im Falle ihres Erscheinens schon am frühen Morgen darin bemerkbar macht, dass sie nicht aufsteht. Verdammt. Mein normal denkendes Ich ist durchaus in der Lage zu entscheiden: "Hey, Bine, wird mal langsam wieder Zeit, ein wenig disziplinierter durch das Leben zu gehen. Andere machen das auch. Dazu gehört dann auch mal, schon um halb neun/neun zur Arbeit zu gehen. Dafür musst du noch nicht einmal früher aufstehen (!), du musst nur früher aus dem Haus gehen als sonst."

Sprachs, wachte heute morgen auf und lag da wie festgenagelt. Zwar durchaus zur richtigen Uhrzeit, wo stressfrei alles machbar war was machbar sein sollte, dachte noch "so, das hat ja gut geklappt, dann steh ma auf, Binschn", da sperrte sich dieses Rotzblag, sagte so etwas wie "hhhhmmmmmmnööööööööö" und blieb liegen. Bis zwanzig vor neun. Die ist doch irre. Ich wette, dass ich rechtzeitig aufgestanden wäre, wenn das mit der Disziplin nicht so laut geäussert hätte. Obwohl...im Moment ist sie eh da. Sie stellt mit Absicht ihre Kaffeebecher nicht in den Geschirrspüler und im Schlafzimmer liegt ein riesengroßer Klamottenberg, der ein gehöriges Ohrenziehen verlangt. So eine Schlampe.

In der Spüle steht ein ungespülter Topf, der Geburtstagstisch ist immer noch in Fragmenten anwesend, hier hat also keiner das Esszimmer zwischendurch mal wieder "hübsch" gemacht, die Wollmäuse wandern schon wieder Hand in Hand und singend durch den Flur und die alte Zicke sitzt mit tückischem Blick in der mentalen Ecke, die Haare zerklettet, aussehend, als hätte sie mal wieder mit Zopf geschlafen und würde schon die Idee einer Bürste aber mal so gar nicht in Betracht ziehen. Außerdem trinkt sie den ganzen Tag Glühwein und stopft Süßigkeiten in sich rein. Und ich werd immer dicker. Das ist doch voll gemein, ej.

Vertrauter Feind. Sie kommt und sie geht. Und irgendwann finde ich auch raus, warum, und wie ich sie mir vom Hals halte. Wahrscheinlich hört sie immer wenn es mir zu gut geht und sagt sich: "Polarität ist wichtig." Yingjangdingdong.

Ach, tückisch und jetzt auch noch esoterisch? Nein, von so einem Zeug hat die sicher keine Ahnung. Sie ist lediglich ein alter Stänker. Die gibts ja leider auch. Ich kann aber drauf verzichten. Heute Abend geh ich erstmal mit ihr zum Zahnarzt. Wolln wir doch mal sehen, wie ihr das schmeckt.

Nörgel.

Donnerstag, Dezember 04, 2008

Heute kann es regnen, stürmen oder schnein...

Ich habe eine Kerze für mich angezündet.

Ich habe eine Kerze für mich angezündet und Karten vor einer Blumenvase arrangiert. Doch auf den Karten sind nicht etwa Kreuze zu finden, sondern Pralinen und sowas, die Worte innendrin künden auch nicht von allzu großer Trauer und auf der Kerze ist eine Zahl mit einem albernen Spruch darunter. Und jetzt sitze ich davor und freu mich, dass ich bin. Zwar etwas älter mal wieder, doch die Zahl 38 klingt und sieht aus wie eine Runde Sache. So seh ich ja momentan auch aus, zumindest partiell, ein Alter, mit dem ich mich also völlig depressionsfrei anfreunden kann. Im Gegensatz zu meiner Figur, aber das ist heute nicht mein Thema.

Selten hatte ich beim Aufwachen an meinem Geburtstag so gute Laune wie heute.

Gestern, sozusagen im Sinkflug auf diesen Tag, der, bei aller Coolness, doch irgendwie innendrin immer etwas besonderes ist, den man natürlich auch so verstreichen lassen könnte, weil er so unwichtig ist, was man aber irgendwie doch nicht kann, ich zumindest, kaute ich so für mich auf diesen Fragen rum, die man sich in der Mitte des Lebens irgendwann stellt: Ist das okä so? War es das, was du wolltest? Ist es das, was du wolltest? Kann das so weitergehen? Gibt es noch Wünsche? Wie waren sie mal, die Wünsche?

Als ich achtzehn Jahre alt war, war ich unglaublich alt. Ich hatte klare politische und soziale Meinungen, ich war bereit für die erste Dauerwelle und fest davon überzeugt, spätestens mit 23 oder 24 Jahren Kinder zu bekommen, damit ich keine alte Mutter werde. Ich lebte in der Kleinstadt mit dem festen Wissen, irgendwann dort ein Haus zu besitzen und diese Vorstellung fühlte sich gut an. Als sich dann mit 23 diese Möglichkeit bot, der Damalige also mit entsprechenden "man-hat-nie-wieder-so-viel-Zeit-für-sein-Kind-wie-als-Student"-Ideen um die Ecke kam, war ich schon panisch drei Ecken weiter und hab mich lieber nicht mehr umgedreht. So wurde ich also keine Arztgattin. Da kann man mal sehen, wie sicher man zu seinen Lebensentwürfen mit achtzehn steht.

Mit achtundzwanzig war ich dann austherapiert, ich hatte ein paar Jahre Extremselbstfindung mit all diesen peinlichen Büchern, die sich manchmal noch in meinem Bücherschrank materialisieren, wenn andere Leute diesen durchflözen, hinter mir. Ich habe mich von vorne bis hinten kennengelernt und hatte dann schließlich keine Lust mehr darauf. Diese Innenschau kann nämlich auf Dauer auch ganz schön nervig sein. Da war ich dann mal wieder bereit für diese Vattamuttakindideen und zog mit dem seinerzeitigen Erwählten an den Stadtrand, um dort ein Nest zu bauen. Als dann die Gespräche tatsächlich in die Familienecke wanderten, nahm der seinerzeit Erwählte die Beine in die Hand und lief. So wurde ich also keine Frau Bankdirektor und mein Karmagutbösekonto war wieder ausgeglichen.

Und jetzt bin ich achtunddreissig und plane nicht mehr. Ich bin gesund, habe eine schöne Wohnung, ich habe eine reizende Familie, ich habe gute Freunde und habe einen Job mit netten Kollegen, der mir keine Bauchschmerzen verursacht.

Da kann einem schlecht werden, was? Natürlich läuft rundherum nicht immer alles rund und ich renne nicht ständig mondkuchenstrahlend durch die Gegend, was aber heute für mich keinen Grund mehr darstellt, an dieser Basis zu zweifeln.

Als in einem Selbstmanagementseminar der Trainer fragte: Wenn Sie sich vorstellen, Sie haben genau dieses Leben, welches sie heute haben, in zehn Jahren immer noch, wie fühlt sich das an? Was möchten Sie ändern? Da dachte ich: "Naja, alles in allem....ich hätte vielleicht gern einen anderen Schrank im Eßzimmer".

Ich bin schon ein zufriedenes altes Binchen. Und ich wünsche mir selbst von Herzen, dass das noch lange so bleibt. Und wenn nicht, möchte ich mich bitte daran erinnern, dass ich heute mondkuchenstrahlend mein Leben überdachte und für gut befand.