Freitag, September 08, 2006

Der Rote

Nach reiflicher Überlegung und schlaflosen Tagen habe ich mich zu 90% entschieden, mein Auto ersatzlos zu verkaufen. Es ist die vernünftigste und beste Entscheidung seit langem. Und eigentlich sollte sie mich fröhlich tanzen machen.

Ehrlich gesagt weiß ich auch nicht, warum ich trotzdem irgendwie ein gedankliches Schwergewichtsringen veranstalte und beobachte mich derzeit hoch amüsiert und interessiert. Während ich das hier schreibe, sind meine Mundwinkel nach unten gezogen, die Stirn ist zerkräuselt und der Mund ist zusammengekniffen wie früher der Mund meiner Oma, wenn wir bei Tisch anfingen über Durchfall zu sprechen.

Mein Auto ist schon etwas besonders. Auch abgesehen davon, dass es sehr alt ist, sehr viel Geld kostet, sehr schnell fährt und sehr oft kaputt geht. Es war das erste Auto, welches ich mir je in meinem Leben kaufte. Im zarten Alter von 33 Jahren. Ich hatte vorher noch niemals die Notwendigkeit gesehen, mir ein eigenes Auto anzuschaffen. Und als ich den Roten angeboten bekam, sah ich die Notwendigkeit ebenso wenig.

Aber dann sah ich den Preis und dachte: Naja, für den Preis kann man nicht viel falsch machen. Außerdem fand ich diesen Prollettenschlitten, der rundumverspoilert ist, Nebelscheinwerfer in einer roten Plastikstoßstange versenkt hat und tiefergelegt wurde, so dermaßen für meine Person unpassend, dass ich ihn dringend kaufen musste. Und hab ihn gekauft. Als Gag.

Besonders witzig fand ich ihn, den Gag, als ich ihn versichern musste. Habt ihr schon einmal versucht, einen 1991-ger, 105-PS-Fiesta als ersten Wagen auf weißdergeier wie viel Prozent anzumelden? Ich bin ja fast vom Bürostuhl gekippt und habe dann das gemacht, was ich wahrscheinlich auch gemacht hätte, wenn ich mir den Wagen mit 18 hätte anschnacken lassen. Ich habe meine Eltern gebeten, das Auto auf sich anzumelden. Da ich nette Eltern habe, war das kein Problem.

Das hat den zusätzlichen Vorteil, dass ich nicht mit Hamburger Kennzeichen durch die Gegend fahre. Von HH-Kennzeichen erwartet nämlich der Durchschnittshanseate, mich eingeschlossen, dass sich dieser gefälligst auskennt und keine merkwürdigen Aktionen fährt. Wers vergeigt, muß eben Umwege fahren. Basta. Auswärtigen Kennzeichen bringt der Durchschnittshanseate eine engelsgleiche Geduld entgegen. Was? Der Typ aus Stuttgart will auf der sechsspurigen Fahrbahn von ganz rechts nach ganz links auf fünf Metern? Hm. Na gut. Da wolln wir doch mal nicht so sein. Ich hab ja Zeit.

Na gut. Ich kenn mich aus. Aber nur für den Fall, wenn nicht, ziehe ich mir keine Morddrohungen auf den Hals.

Das größte Problem mit meinem Auto ist, dass ich es nie fahre. Es steht. Es steht herum und sich kaputt. Von Zeit zu Zeit, wenn ich meine Eltern heimsuche oder mich dringend sonstwie außerhalb Hamburgs bewegen muß, dann kommt es mal in Bewegung. Aber alles, was in Hamburg verfahren werden muß, das mach ich mit der U-Bahn. Ich hab nämlich einen prima Parkplatz. Wer hier in Hamburg einen prima Parkplatz hat, der gibt ihn nicht auf. Ich mag keinen neuen Parkplatz suchen. Und wenn ich irgendwo hinfahre, bin ich mit der Bahn immer schneller. So leid es mir tut.

Mittlerweile hat der Wagen zudem Feuchtigkeit gezogen und springt nicht mehr an. Zuletzt brachte er mit einer dauerdurchknallenden Lüftungssicherung seinen Missmut auf meine Vernachlässigung zum Ausdruck. Ich fürchte, dass er rostet. Seine Gummis werden spröde. Er ist einsam. Die Bremsflüssigkeit leckt heraus. Er wird nicht gebraucht. Ich kann ihm nicht wirklich etwas geben als hin und wieder ein wenig neues Öl und eine neue Sicherung.

Jetzt ist er krank geworden vor Einsamkeit. Und ich habe ein sehr sehr schlechtes Gewissen. Er muß auch zum TÜV und ich habe ihn nicht regelmäßig gepflegt und umsorgt. Wäre dieses Auto ein Kind, würde es sicher auch morgens langsam zu den Nutellabrötchenausgabestationen für Kinder von der Hamburger Tafel schleichen und mit gesenktem Haupt und niedergeschlagenen Augen eine Tasse Kakao entgegennehmen.

Ich bin eine schlechte Automama.

Aber ich hab ihm eine neue Lichtmaschine geschenkt. Und einen Anlasser. Jawohl. Ich habe auch seine Lenkung wieder gangbar machen lassen und ich habe ihn immer ausreichend betankt. Ich habe mich an seiner Zentralverriegelung gefreut und an dem CD-Radio. An der beheizbaren Frontscheibe und…Ach, oder ob ich ihn doch behalte?

Ich bin zerrissen.

8 Kommentare :

Der_grosse_Transzendentale_Steini hat gesagt…

"Wäre dieses Auto ein Kind, würde es sicher auch morgens langsam zu den Nutellabrötchenausgabestationen für Kinder von der Hamburger Tafel schleichen und mit gesenktem Haupt und niedergeschlagenen Augen eine Tasse Kakao entgegennehmen"

Das ist so rührend, Bine, ich kann vor Tränen nichts mehr sehen. Ich würde ihn aufnehmen, wenn ihn keiner will...-schluchz-

Anonym hat gesagt…

willst disch wirklich von dem roten blitz trennen? und wie willste dann ins hamburger umland kommen? dat überleg dir nochmal gründlich. wie wärs eigentlich mal wieder mit mir n kühles blondes zischen?

Anonym hat gesagt…

Ich kann Deine Überlegungen versteh'n. Ich habe bereits vor ein paar Jahren mein Auto ersatzlos verkauft. Obwohl es vor meiner Haustüre eigentlich fast immer einen Parkplatz gibt. Aber überall sonst in Hamburg gibt es keinen; also fahre ich sowieso mit Rad oder U-Bahn. Und für's Rädereckigstehen ist so'n Auto einfach zu schade. Darum: gibt es in liebende Hände.

Anonym hat gesagt…

wie war das mit dem fisch ohne fahrrad...

Anonym hat gesagt…

Hi Bine,
behalte ihn, du wirst ihn sowieso nicht los. 15 Jahre alt? Mein Gott, den musst Du zum Alteisenhändler trage, und der will noch Kohle dafür, dass er ihn dir abnimmt. Oder mache eine Fahrt nach Polen und verkaufe ihn da. Könntest ihn ja auch dort einer wohltätigen Einrichtung spenden, dann wäre er in guten Händen.
Gruss, Jens

Anonym hat gesagt…

Ich könnte gar nicht ohne Auto...

lorretti hat gesagt…

@tiescher
geht mir genauso.

Aber wenn man in HH-City wohnt und sich nur innerhalb Hamburgs bewegt, denn braucht man eigentlich keinen fahrbaren Untersatz.
Schwere Entscheidung, sehr schwer ... armes Bienchen

Makrele hat gesagt…

Hehehe, das kommt mir doch alles sehr bekannt vor. Tja, kenn da einen Parkplatz in Lübeck, da steht so ein schwarzer '92er Golf der alle 2 Wochen nen Kasten Bier und 2 Kisten Wasser spazieren fährt. Okay, der Sportauspuff is irgendwann abgerottet, und der Zustand der Alufelgen würde einen echten Autofreund spontan die Haare ergrauen lassen aber die Stereoanlage die geht noch. und nebenbei ... er fährt. Bis zum nächsten TÜV ... im November. Und das wirds dann wohl gewesen sein.