Samstag, Oktober 20, 2007

Anker in den Bergen

Wie schnell einen die Zivilisation und das normale Leben doch wieder einholt. In meiner Wohnung stehen überall leere Bierdosen und Esspappen vom Chinamann. Wann sind die denn gewachsen?
Ich hab gut und lange geschlafen und sitze jetzt - wie an einem ganz normalen Samstag auch - kaffeetrinkenderweise vorm PC.

Ein Anker. Ich brauche einen Anker, damit sich der Jakobsweg nicht allzu schnell wieder verflüchtigt. Mit einem Mal ist alles wieder normal und man denkt nur noch beiläufig an einen reizenden Wanderurlaub? Naja gut, so eilig ist das noch gar nicht. Diese sympatisch schrullige Eigenart, an Krücken zu laufen, habe ich mir ja auch von dort mitgebracht. Und so wie es sich anfühlt, werde ich das wohl auch noch ein paar Tage durchziehen.

Und für den Fall, dass mich der Alltag irgendwann einholt, habe ich mir ein paar Kacheln mitgebracht, auf denen die Richtungspfeile und die Richtungsmuschel zu sehen sind. Wie ich schon mal schrieb, wer ein solches Symbol auf dem Weg vor sich sieht, der weiss, dass er auf dem richtigen Weg ist, dass er sich nicht verlaufen hat, dass er nicht verlorenging. Ich halte dieses Gefühl für ein außergewöhnlich beruhigendes und werde das auch gerne weiter haben, wenn ich die kleinen Kachelchen anschau.

Die Schmetterlinge, die Hape als typisch für den richtigen Weg (stimmt übrigens) sieht, sind mir im Gepäck nämlich alle zerbröselt.

Nein liebe Kinder, ich habe mir natürlich keine Schmetterlinge aus Spanien mitgebracht. Die sind ja nicht sehr handzahm die Biester. Realistischer wäre die Mitnahme von Wanzen oder Flöhen gewesen. Hier sehen wir zum Beispiel Meike auf einem Bett, welches sie zu der Zeit bereits ohne ihr Wissen mit Wanzen teilte:


So sah ihr Bein zumindest hinterher aus. Ein wenig gepunktet. Und Mitschläfer hatten am nächsten Morgen ähnliche Muster vorzuweisen. Ich hatte Glück und blieb verschont. Aber ich hatte zu dem Zeitpunkt auch schon genug damit zu tun, daß ich an allen Ecken kaputtging. Das wär gemein gewesen, mich auch noch mit Wanzen zu überziehen.

Da denkt man doch direkt an Tucholsky:

Ich geh mit meinen Wanzen schlafen,
rotbraun und platt.
Quartiert bin ich bei einem Grafen,
der viele hat.

Des Nachts, wenn alle Sterne funkeln,
dann ziehen still
die fleißigen Scharen hin im Dunkeln
wie Gott es will.

Sie kommen aus den schmalen Ritzen,
aus dem Parkett;
die feinern aber fastend sitzen
des Tags im Bett.

Sie pieken mich. Es schwillt zu riesigen
Fleischklümpchen an, was sie gepackt;
das macht die Beißekunst der Hiesigen -
die sind exakt.

Sie pieken mich. Es juckt. Zum Glück
ist morgen alles wieder rein.
Und wenn ich eine sanft zerdrücke,
gedenk ich dein.


Reizend nicht? Wie auch immer. Wir hörten dann und wann von Problemen mit derlei Tierchen. Die Alberguen wurden dann auch geschlossen und gereinigt wenn es bekannt wurde. Vielleicht nicht jede, aber wir hörten von welchen. Ansonsten muß ich jetzt mal eine Lanze brechen. Wir hatten eigentlich am Anfang des Urlaubs vor, auch eher Hostels und Pensionen zu nutzen, weil überall so furchtbare Geschichten über die Refugien kursieren. Und wir haben uns umentschlossen. Einzwei Luxushoteltage haben wir uns gegönnt, aber ansonsten waren wir mit der Herde im Stall.

Die meisten Refugien in denen wir waren, waren angenehm. Nicht hygienisch rein, nicht luxuriös, aber guter Jugendherbergsstandard, manchmal weit drüberliegend, manchmal leicht drunter. So richtige Kotznächte hatten wir nicht. Natürlich gab es auch mal Refugien, in denen man - meist überraschenderweise - sein Klopapier selbst mitbringen musste, und auch welche, in denen eine schöne, große saubere Küche vorhanden war, in deren Schränken allerdings gar nix lag. Kein Geschirr, kein Besteck, keine Töpfe. Das hätte wohl die Ordnung gestört und die Pilger zum kochen gereizt. Gehtjanicht.

Aber all das war gut zu ertragen. Auch die Schnarcherei des Nachts. Oropax ist toll und wenn man aus Notwehr selbst beginnt zu schnarchen, wie ich es tat wie man mir sagte, schläft man gut durch. Vom eigenen schnarchen wacht man ja nicht auf. Knickknack, weissbescheid?

Apropos knickknack...da kann einem schon ganz schön das Adrenalin hinter die Ohren schießen, wenn man in einem unteren Stockbett liegt, welches knarrt wie ein Seelenverkäufer kurz vorm sinken, über einem im Bett liegt ein nahezu zwei Meter großer Norbert, und dann sieht man, daß diverse Lattenrostbretter unter seinem Po schon längst von anderen Pilgern durchgebrochen wurden. Wenn man dann morgens gesund und munter auffwacht, rückt man gleich ein wenig näher an den Glauben ran.

So, und jetzt noch ein paar Fotos von den nächsten Tagen. Langsam sieht man schon, daß sich die langweilige Landschaft etwas sanfter hügeliger gestaltete. Und spätestens nach dem Cruz de Ferro war es so unsagbar schön, dass mir immer noch der Atem stockt wenn ich nur die Bilder sehe. Ich fang erstmal an:



Mit Schneewittchen vor den sieben Bergen. Ohne Zwerge.

Überall am ganzen Weg finden sich Trinkwasserbrunnen. Gut, nicht überall, aber in ausreichender Menge. Wer auf dem Weg austrocknet, ist ein Depp.


Das Ziel am Tag Nr. 3. Kurz vorm Cruz de Ferro, zu dem es von Foncebadon nur noch eine knappe halbe Stunde Aufstieg sind. Wir gingen zum Sonnenaufgang. Hier ein erster Eindruck, mehr dann in einem nächsten Artikel.

4 Kommentare :

Anonym hat gesagt…

na, wirkt noch etwas hölzern auf mich, dein zukünftiger. aber ihr kennt euch ja erst so kurz, das gibt sich!

herzlichen dank für die fotos! nun können wir unsere geistige wanderung mit optischen eindrücken ergänzen. man stellt sich sonst immer irgendwas vor... ('ach, das hab ich mir aber ganz anders vorgestellt...')

und wem das nicht reicht: auf irgendeinem privatsender sollen demnächst ein paar promis über den camino pilgern.. das musste ja so kommen. :-(

Anonym hat gesagt…

in genau diesen tiefpunkt der fernsehkultur, habe ich vor ein paar tagen aus versehen reingezappt. eine horde wahrscheinlich hochverschuldeter d-promis wollen mit dem ach so trendigen jakobsweg mal absahnen. ich kannte ledigtlich einen dieser angeblichen v.i.p.'s vom sehen. der name, weil wohl eh schlecht, fiel mir nicht ein. das war nicht mal so blöd, daß es schon wieder witzig war. ohne worte

dann doch 100.000x lieber die kühle blonde mit schwester im blog begleiten. das ist wirklich toll!

ich habe fertig!

Kühles Blondes hat gesagt…

mahort, auch wenn er ein spanier ist, er hat gewiss einen norddeutschen charme. harte schale, klebriger kern. der taut schon noch auf.

von dem fernsehstück hab ich gehört. ich weiß ehrlich gesagt gar nicht, was ich mir dazu für ne meinung bilden soll.

im prinzip ist das schippe, ob diese pseudopromis von einem kamerateam begleitet werden oder nicht.

entweder sie laufen den weg tatsächlich, und dann wird ihnen, egal ob kamera oder nicht, die eine oder andere grenze gezeigt und der eine oder andere tag vermiest oder superschön gestaltet, oder sie belügen sich selbst und inszenieren sich nur, indem sie das ganze als fünf-sterne-busreise sehen und nur für die kamera laufen.

dann entgeht ihnen eine menge. schade für sie.

dass so etwas ankommt im deutschen fernsehen, ist doch klar. egal, mit welchen moralitäten man das durchaus gutmeinend versucht, den weg an sich zu verteidigen. ich mein, guckt euch doch mal in der fernsehlandschaft um. in den talkshows, den big brothers, den flachen spielshows...im prinzip können wir doch froh sein, daß wir uns noch keine live-foltershows angucken müssen, die aus fernost konzipert ... obwohl, diese japanischen spielshows sind schon ziemlich krank.

aber abgesehen von dem ganzen gutgerede hier von mir, wünsche ich dieser arroganten pickelfresse mit dem merkwürdig französisch anmutenden namen, der mir grad nicht einfällt, tausend bettwanzen an den arsch :))

da ist doch auch dieser andere schauspieler gelaufen, der das ganze hinterher im Bayernfernsehen hat übertragen lassen. der die ganze zeit allein gelaufen ist (abgesehen natürlich vom kamerateam...) und sich mit dem anderen pilgervolk nicht abgegeben hat, weil das unter seiner würde war. das sind nämlich alles plappermäulchen und der sinn des wegs ja ist, zu denken und an seiner spiritualität zu feilen (und natürlich für die kameraaufnahmen eine angemessen heilige stimme zu üben, ne?.) der, der in seiner aufgesetzten heiligkeit hinterher die story an die yellow-press verkauft hat mit der tränenstory, daß er den weg gelaufen ist, als sein mittlerweile in seinen armen verstorbener vater, mit welchem er da noch unversöhnt war, im krankenhaus lag.

als ich das sah und las, kitzelte mir auch ein wenig das gaumensegel im fröhlich brausenden brechreiz.

ich habe zum glück nur normale menschen kennengelernt. ohne kamerateam. ich plappermäulchen.

Anonym hat gesagt…

Na und sach du nochmal, du bist dick! Auf dem Bild seh ich ja aus, wie ne Wurst kurz vom Wanzenstich;-)