Samstag, Februar 03, 2007

Gibts hier noch was zu essen?

Was kann nur passiert sein, wenn man sich am Abend eines schönen Samstages mit nur mäßigem Nieselregen irgendwann im Osten von Hamburg in einem griechischen Restaurant vorfindet, schräg vor einem jemand mit dem Kopf in seinem Gyros liegt und zufrieden schläft, zwei Tische weiter eine Frau frei von Scham oder Möglichkeit von Scham ihren Mageninhalt in die Gaststube entleert und, trotzdem schon längst abgeräumt wird und ungefähr tausend Kilo Fleisch übriggeblieben sind, die in dem Moment echt niemand mehr essen wollte, jemand herumläuft und verkündet: Ich hab Hunger. Gibts hier noch was zu essen?

Genau. Es ist das Ende des norddeutschen Sporttages. Denn was machen die Lüü von der Küste, wenn sie sich sportlich verausgaben wollen? Sie gehen boßeln.

Ich weiß was das ist. Ihr vielleicht nicht. Deswegen wollen wir mal Wikipedia zu Rate ziehen, was schreibt:


"Boßeln ist eine Sportart, die überwiegend in den norddeutschen Küstenregionen aber auch weltweit gespielt wird.

Im klassischem Boßeln spielen zwei Mannschaften (bei Wettbewerben in 4 Gruppen mit je 4 Werfern besetzt) gegeneinander. Dabei gibt es keine feste Wurfbahn, sondern die Wettbewerbe finden auf Straßen statt. Jeder Werfer setzt mit seinem Wurf an dem Landepunkt des Vorwerfers an.

Die übliche Saison für das Boßeln liegt im Winter und am Beginn des Frühjahrs. Der Grund für die Wahl der Jahreszeit ist, dass im Winter die Gräben, die sich in Norddeutschland beiderseits der Boßelstrecke befinden, zugefroren sind und daher das Bergen der Kugel vereinfacht wird. Da Pockholz eine höhere Dichte als Wasser hat, gehen Boßelkugeln in Straßengräben unter. Um die Kugeln trockenen Fußes bergen zu können sind spezielle Klootsoeker (Kugelsucher, auch Kraber) in den 'boßelnden' Regionen im Handel erhältlich. Diese bestehen aus einer Stange (z.B. Besenstiel) mit einem daran befestigten Korb für die Aufnahme der Boßel."


Na gut. Das ist nicht sehr erschöpfend. Oder? Boßeln ist im Grunde ein hübscher Spaziergang über eine gehörige Anzahl von Kilometern.

Während dieses Spazierganges schmeißt man jeweils eine Kugel vor sich her und die Würfe werden gezählt. Die Mannschaft, die die wenigsten Würfe gebraucht hat, hat gewonnen. Deswegen wird auf Wegen gespielt, die eher "uneben" sind. Weils mehr Spaß macht. Mehr so die Köm-Schnellwege der Region. Das sind die Nebenwege. Die asphaltierten Feldwege, wo man irgendwie auch noch mit dem Auto nach Hause kommt, ohne von der Polizei behelligt zu werden.

Um den Spaziergang für den durchschnittlichen Norddeutschen erträglich zu gestalten, gibt man jeder Mannschaft einen Bollerwagen mit. Gefüllt bis an den Rand mit allem, was man normalerweise nicht unbedingt tagsüber konsumiert. Vorzugsweise Kurze. Köm, Sambuca, Likörchen, auch gerne Glühwein, etwas Bier, Wurst, Süßigkeiten und allerlei Trallalla..

Dieses Zeug ist dann zu verzehren. Was auch üblicherweise, so wie heute, in angemessener Art und Weise zelebriert wird. Alle dreissig Meter, und ich vermute, ich untertreibe hier stark, wird ein kleiner Boxenstopp eingelegt und sich vom anstrengenden Kugelstoßen erholt. Gruppendynamisch. Flüssig. Wie sonst. Damit einen der Nieselregen nicht mehr so nervt und die Wurfhemmung bei der nächsten Schmeißerei ausgeschaltet ist. Und man die Verwürfe des Vorwerfers nicht so eng sieht. Es geht nicht um den Erfolg. Es geht um das Miteinander. Darum, sich wieder aufzuhelfen wenn man fällt. So wie der junge Mann schräg gegenüber. Erst auf dem Weg umfallen und dann auch noch in seinem Gyros einschlafen. Ich würde sagen, er hat die Meisterschaft heute erreicht. Hoch! Hoch! Hoch! Wenn, dann gibt der Norddeutsche nämlich alles. Frei nach dem Motto: "Heute wird richtig getrunken. Nicht wieder so ein Kindergeburtstag wie sonst fast immer."

Auch die Dame, die ihren Mageninhalt in überdachten Räumen nicht bei sich behalten konnte, gehörte zu meiner Mannschaft. Ebenso wie die junge Frau, die ungefähr parallel mit meinem Gegenüber vorm Essen schon einschlief. Weil ich zum Glück in den Pausen angemessen pausierte, also auch mal keinen Schnaps trank, war ich noch klar wie der Korn im Glas. Oder zumindest halbklar, wie ein kalter Ouzo. Da ich sowieso nicht besonders gut im Bällewerfen bin, fiel das gruppendynamisch gar nicht auf.

Ich mag es, mich auch einmal aus der Beobachterrolle dem Alkohol zu nähern. Das hilft enorm. Wenn man nämlich immer noch mit schreckgeweiteten Augen und der Hand vorm Mund an den letzten eigenen Exzess denkt und dabei die ganze Zeit vor sich hinmurmelt: "Achduliebegüte, das hab ich nicht wirklich gemacht. Wie peinlich. Ich kann mich da nie wieder sehenlassen. Gottogottogott. Für wen halten die mich?", dann weiß man nach einem Boßeltag: Du bist nicht allein.

Auch die anderen Mannschaften hatten mit Ausfällen zu kämpfen. Am Ende sind doch alle gleich. Und wir haben die goldene Schnecke gewonnen für die schlechteste Mannschaft des Tages. Wenn das kein Erfolg ist!

Wenn ich da jetzt so recht drüber nachdenke...gibts hier noch was zu essen? Ich hab Hunger.

2 Kommentare :

oldmarty hat gesagt…

Das habe ich auch mal gespielt während meiner Zivizeit in Ostfriesland. War echt nett und feucht, aber nur im Mund, denn wir hatten da echte Minusgrade, blauen Himmel und ne steife Brise.

Anonym hat gesagt…

ein wahrlich treffende beschreibung der gestrigen ereignisse. leider mußte ich mir heute morgen den gestrigen tag auch noch mal durch kopf gehen lassen. und das ist das erste mal seit hunderten von jahren, daß mir das mal wieder passiert ist. obwohl auch ich mich zurückgehalten habe (und trotzdem ich in der siegergruppe war ;).

p.s.: wo sind die fotos????