Freitag, Oktober 06, 2006

Längst vergangene Tage

Ich bin fünfunddreissig. Und das ist gut so. Ich wäre ungern noch einmal jünger. Na gut, dreissig, das würde ich mir grad noch so gefallen lassen. Aber würde das was ändern? Nichts. Also, ich bin gerne wer ich bin und wo ich bin. Wenn man mich wie in der Fielmann-Werbung fragte: Und? Was würdest du anders machen? Mir würde nichts einfallen. Na gut. Vielleicht hätte ich gern einen anderen Beruf gewählt. Vielleicht hätte ich zwischendrin mal heiraten können oder Weltreisen gemacht. Aber eine ernsthafte Frage, die ich mir dann stelle ist: Würde ich mich, wäre mein Leben anders verlaufen, heute auch so sympathisch finden? Wer wäre ich dann? Weiß ich nicht. Ist auch gut so. Es reicht, wenn andere mich für eine blöde Arschmöhre halten. Ich finde mich dann doch lieber nett. So wie heute. War schon alles ganz okay.

Selbstverständlich habe ich mir im Laufe des Lebens die eine oder andere tüchtige Schelle eingefangen, auf die ich in dem Moment hundertprozentig gern verzichtet hätte, aber im Nachhinein ist doch alles meist mal gar nicht so schlimm. Der Spruch "Und in zwei Jahren lachen wir drüber", entbehrt nicht nur einer gewissen Weisheit, sondern entspricht durchaus meiner Erfahrung. Verkneifen sollte man sich den Spruch, wie ich einmal in einem Cartoon sah, jedoch, wenn man Pastor wäre und tröstende Worte für die Witwe finden möchte. Aber ansonsten kann man sich den ziemlich groß über die Haustür pinnen.

Ich muß jetzt schon grinsen, wenn ich daran denke, worüber ich in zwei Jahren alles zu lachen habe.

Wenn ich jedoch versuche, mich an das zu erinnern, was vor zwei Jahren war, bekomme ich ein Problem. Mein Zeitgefühl ist ein außerordentlich schlechtes. Ich bin schon froh, wenn ich mich daran erinnern kann, was ich vor drei Tagen abends gemacht habe. Oder gestern zum Mittag aß. Also, ich erinnere mich durchaus an das Geschehene, ich kann es nur schwer Tagen, Wochen oder gar Jahren zuordnen. Wenn mich eine Erinnerung überrollt, ist es wurscht, wann es sich tatsächlich ereignete. Es war gestern. Höchstens. Eigentlich wäre ich die perfekte Ehefrau. In dem Vergessen von Geburts- und Hochzeitstagen würde ich einem Mann locker den Rang ablaufen.

Mein Gestern ist also mindestens 32 Jahre lang. An das, was vorher war, erinnere ich mich nun wirklich nicht mehr. Schade eigentlich. An meine Geburt könnte ich mich bestimmt ohne neurosenbildende Traumata erinnern. Im Gegensatz zu heute war ich damals nämlich ziemlich klein. So klein, daß meine Mutter nach erfolgreicher Herauspressung meinte: "Das war leicht, das könnte ich gleich noch einmal machen". Ich wachte also gestern mit drei Jahren irgendwann auf und mußte feststellen, daß ich einen großen Bruder hatte der draußen spielte, während ich im Eßsaal des Kindergartens hockte und schmollte, während irgendwelche Nonnen mich mittels eines hartnäckigen "Du bleibst sitzen bis dein Teller leer ist" durch den gesamten Nachmittag geleiteten. Ob das wirklich meine erste Erinnerung ist? Keine Ahnung. Auf alle Fälle bin ich aus der Kirche ausgetreten sobald ich konnte. Dabei war ich nicht einmal katholisch. Im Gegensatz zu den Nonnen. Wundert mich heute noch, daß man mich prostestantisches Wechselbalg dort betreute.

Heute bin ich knapp irgendwas zwischen 1.68 m und 1.71 m (Ich bin irgendwie immer größer, wenn mir ein Mann erzählt, er wäre 1.75 m und ich mich immer wundere, warum ich ihm direkt in die Augen gucken kann. Männer schummeln mit ihrer Körperlänge öfters. Oder ist das nur mein Empfinden?) und zum Glück will niemand mehr, daß ich meinen Teller leeresse.

Worauf ich eigentlich herauswollte, als ich diesen Artikel ansetzte und dann einmal wieder abschweifte, war eigentlich Musik. Im Hintergrund läuft grad Bellmann. "Wir sterben an Liebe und leben vom Wein". Wenn ich Musik höre, die mich bewegt, bewegt sie mich über Jahre hinweg. Es tauchen Erinnerungen aus ganz unterschiedlichen Zeiten auf. Mit allem, was mich zu den jeweiligen Zeiten bewegte. Ein Cocktail der Erinnerungen und Empfindungen. Positiv und negativ. Ein mentaler Geschmack wie zum Beispiel der gestern von meiner lieben Freundin Katrin für mich bereitete Tomaten-Feigen Salat mit Zitronen-Honig-Sauce und Ziegenkäse. Zarte Süße, gepaart mit herbem Geschmack. Ein Gedicht. Alles auf einmal.

So soll Leben sein. Oder?

8 Kommentare :

oldmarty hat gesagt…

lass das mit den nachdenken, ob man was früher hätte besser-anders-garnicht machen sollen. Hab ich mal gemacht , Ergebnis war eine lange Depriphase...

Wenn du dir morgens im Spiegel in die Augen schauen kannst, da sei zufrieden mit dir. Nicht mehr und nicht weniger.

Singamoebe hat gesagt…

Och Binchen....welch sinniger Text ;) Da versuche ich gerade weg von meinen emotionalen Texten zu kommen und du fängst an ;)
Ich find dich prima ;)

Bob hat gesagt…

"Blöde Arschmöhre" ist ein gar lieblicher Kosename:) Entzückend. Aber in 2 Jahren erinnerst Du dich da auch nicht mehr dran... Kenne das Problem. Ich kann auch kein Ereignis irgendeiner Zeit zuordnen. Ich brauch dazu immer andere Ereignisse die einen Zeitstempel haben. Also... mach dir keine Sorgen. Du bist voll im Plan;)

Anonym hat gesagt…

Ich würd ja jetzt gerne ganz weit ausholen und eigene Traumata mit meiner Kindergartentante Alice zum Thema "Iss deinen Teller leer" aufs Tapet bringen. Aber eigentlich bin ich nur vorbeigerauscht um blogübergreifend mitzuteilen, dass ich ein ganz schlechter Koch bin.

Anonym hat gesagt…

Frau Kühles Blondes,

Alkohol hat was, oder? Da fliegen nur so die Gedanken und die Finger über die Tatstatur. Herrlich, herrlich, herrlich. Ansonsten wünsche ich Ihnen, dass sie weniger Zeit zum Schreiben haben. Mahlzeit!

Anonym hat gesagt…

sehr schöner text. aber dass männer bei der körperlänge lügen, ist mir neu. dachte bislang, sie würden nur bei einer anderen länge hin und wieder mal ein wenig schummeln...

Anonym hat gesagt…

Hallo. Höre bloss nicht auf WORTFÜHRER und nehme Dir viel Zeit zum Schreiben, denn das gibt mir viel Zeit zum lesen und lachen! Mir geht es übrigens auch wie BOB; bestimmte Ereignisse oder vor allem auch Musik bringe ich nur mit speziellen anderen Ereignissen zusammen. Das menschliche Hirn ist schon ein Wunder. Gruss

Anonym hat gesagt…

Ja, bitte den blöden wortführer ignorieren ... habe Dich seit einiger Zeit RSS-abonniert und freue mich auf Deine Texte. Lacher heute: Ar***möhre *gnihihi*