Dienstag, August 21, 2007

Kultur pur

In meinem Bücherregal stehen diverse kleine originelle und nicht so originelle Sammelbände, voll mit allem, worin Mensch gern schmökert. Naja gut, mal mehr, mal weniger. Wenn ich ganz ehrlich bin, habe ich das Buch mit den Klosprüchen schon längere Zeit nicht mehr angefasst. Was ja aber nicht heißt, daß es nicht irgendwann ein dummes-Graffiti-Revival gibt. Die Achtziger kommen ja wieder wie ich hörte. Ich wäre dann gern nicht da.

Seien wir doch mal ehrlich. Es gab doch niemanden, der damals nicht Scheiße aussah. Letztens bekam ich eine Einladung zum zwanzigjährigen Klassentreffen mit aufgedrucktem Schwarzweißfoto und fiel fast vom Stuhl. Was ich damals an meinen Klassenkameraden cool und modisch fand, sieht heute aus, wie Kleiderkammerladenhüter hinten links. Blousonjacken und Hochwasserkarottenbundfalten. Sweatshirts mit Bündchen - außerordentlich figurschmeichelnd - und farblich abgesetzte Jeansapplikationen. War das schick. Und dazu diese Frisuren mit den mächtigen Ponys.

Gibt es dort draußen irgendjemanden, der von damals noch Fotos von sich besitzt, die er gerne herumzeigt? Ichkannmirdasnichtvorstellen. Und jetzt möchte die Jugend von heute tatsächlich davon einen Abklatsch. Nichts gegen die Musik. Ich hör Oldies ja gern, aber von dem Style oder Nichtstyle sollten die Gören heute lieber die Finger lassen, wenn sie sich auch in zehn Jahren noch in die Augen gucken wollen. Laßt es euch gesagt sein.

Jetzt bin ich bei der Schreiberei aber doch neugierig geworden auf das Graffitibuch und ob ich das tatsächlich peinlicherweise noch besitze. Zack ins Wohnzimmer geeilt und gesucht. Dieses Goldstück meiner Sammlung soll jetzt doch ein letztes Mal noch zu Ehren kommen, bevor ich es vielleicht doch so langsam mal den Weg alles Ewigen gehen lasse. Buchstellplatz ist ja begrenzt. Ah, da ist es tatsächlich. Ein Jubiläumsband von Heyne, mit dem der Verlag sich laut Klappentext bei seinen Lesern zum 50 Jubiläum bedankt.

Darüber könnte man jetzt einmal ernsthaft nachdenken. Der Heyne-Verlag bedankt sich bei seinen Lesern für - weißdergeier - Treue, Buchkauf, Abo, Intellekt? Mit dem, was Heyne wie folgt weiterbeklappentextet: "Der Geist sprüht, wo er will - und die Dose auch. Lockere Sprüche, zündende Parolen und irre Graffiti für mehr Spaß und Lust: eine Kampfansage an Miesmacher, Frust und tierischen Ernst" und ich jetzt unter völliger Distanzierung von sämtlicher Verantwortung auszugsweise präsentiere. Ich verwende das Zufallsprinzip. Aufschlagen, abschreiben. Sollte ich ernsthaft auswählen, bräuchte ich ein stärkeres Beruhigungsmittel und müßte mich wieder hinlegen. Also, obacht:

"Dem Prinzgemahl aus Engelland, beim Defilee der Schwengel stand"

"Wir lernen fürs Leben - deshalb die vielen Diktate"

"Wer Umweltprobleme nicht ernst nimmt, ist selbst eins"

"Bevor ich dich besudel, Puppe, eß ich noch ne Nudelsuppe"

"Ende gut, alles putt"

"Von Phall zu Phall ist die Nummer anders"

"Kannst du nur einmal wöchentlich und möchtest gerne täglich, dann geh nur mal zu Neckermann, denn Neckermann machts möglich"


"Bitte, Heyne" Gerngeschehn. Nachträglich nochmal alles gute zum Jubiläum. Vielen Dank, daß wir jetzt davon ausgehen müssen, daß dieser platte Graffitimüll Teil unserer Kultur ist und künstlerisch so wertvoll, daß da Bücher draus gebunden werden.

Wenn ich heute einen Sammelband mit kleinen Alltagsbonmonts herausgeben müßte um nachfolgende Generationen ungläubig mit dem Kopf schütteln zu lassen, würde ich wahrscheinlich "SMS - im Suff versandt" wählen.

Das kennt doch jeder - oder? Morgens aufwachen, in den Postausgang vom Handy gucken und sich erstmal ordentlich erschrecken. Oder wundern. So habe ich nach einer Geburtstagsfeier und einzwei Ouzo (zu viel) nicht nur zwei fragwürdige SMSen - wahrscheinlich aufgrund feinmotorischer Ausfälle - an den ADAC-Pannendienst geschickt, ich habe auch einen Freund aus mir nicht mehr nachvollziehbaren Gründen mit der Erkenntnis "Nichts ist schwierig. Nur die Zeit" erfreut.

Das ist doch schon mindestens so philosophisch wie der Text mit Neckermann. Einer Veröffentlichung sollte also nichts im Wege stehen.

2 Kommentare :

Anonym hat gesagt…

So, so...

So sprachlos war ich ja schon lange nicht mehr. *g* Du schmöker(te)st im Buch der KLOSPRÜCHE?! *rofl* Kann man(n) da noch was anderes sagen, außer "Feuer frei" oder "Bitte alle an die Gasmasken"?

Erzähl... los... was steht da drin?!

Ich bin froh, dass Kultur auch unterhaltsam sein kann. Ehrlich. Für meine Bildung habe ich mir neulich nämlich ein dünnes Büchlein von Eichendorff und eines von Tucholsky gekauft. Echte Literatur. Echt anspruchsvoll.

*würg* Und sowas von überhaupt nicht mein Ding. Ich habe aber immerhin schon ... zehn Wörter aus dem einen Buch gelesen. Reich mal die Klosprüche rüber. Das macht bestimmt mehr Spaß. :-)

Der_grosse_Transzendentale_Steini hat gesagt…

Zeitgeist! Da isser wieder. Immer, wenn irgendwas ganz schlimmes produziert, gestaltet, angezogen oder von sich gegeben wurde, muss der Zeitgeist dafür herhalten. Man sollte sich also echt vor dem Zeitgeist in acht nehmen.
Übrigens hab ich sehr gelacht über die Suff-Simse. Besonders über die an den ADAC Pannendienst - der steht bei mir nämlich auch an erster Stelle im Telefonbuch... An deren Stelle würde ich dafür sorgen, dass die gelesen werden können und ein schönes Buch daraus machen. Wird bestimmt der Bestseller des Jahres!