Manchmal merke ich sehr deutlich, daß ich alt werde. Damit meine ich jetzt nicht die Neigung, eher einmal müde zu werden, vorm Fernseher einzuschlafen, oder nach einer durchzechten Nacht auf dem Kiez tatsächlich zwei Tage zu brauchen, um wieder einigermaßen lebenstauglich und kopfschmerzfrei zu sein. Nein, ich merke es daran, daß ich beginne, mich stellvertretend für meine Mitmenschen zu schämen und den deutlichen Wunsch verspüre, hier und dort autoritäre Zurechtweisungen in die Welt zu rufen.
So wie eben in der Bahn. Rechts in der Viererecke neben meiner saß ein jugendliches Etwas. Sehr cool. Dicke Stiefel. AUF dem ihm gegenüberliegenden Sitz. Nachdem ich seiner angesichtig wurde, verengten sich meine Poren ein wenig, ebenso wie meine Augen und ich mußte schwer an mich halten, ihm nicht zu erzählen, daß es mir herzlich leid täte, vorher auf dem Platz gesessen zu haben wo seine Füße jetzt aufhältlich seien und ich meine Schuhe, mit denen ich vorher in einen tüchtigen Hundehaufen getreten wäre, dort abgelegt hätte, wo jetzt sein Hintern sitzt.
Das hätte ich natürlich niemals in echt getan. Ich hätte ihn höchstens in einer etwas unhöflichen Art und Weise angeschnauzt, seine Drecksstiefel gefälligst auf dem Fußboden zu parken, wo sie hingehören. Wenn ich nicht der Meinung gewesen wäre, daß es mich, egal wie es nervt, überhaupt nichts angeht. Ich mußte ja nicht stehen. Ich saß stattdessen da und schämte mich stellvertretend für unsere Jugend.
Vor mir saß eine junge Frau, die neben sich auf dem Sitz zwei Taschen abgestellt hatte. Am Hauptbahnhof füllte sich die Bahn und es war mir schrecklich peinlich, daß diese blöde Tusse nicht auf die Idee kam, ihre Dreckstaschen entweder auf den Boden oder auf den Schoß zu nehmen, um einem anderen Mitfahrer eine Sitzmöglichkeit zu eröffnen. Ich bin sicherlich nicht der höflichste Mensch unter der Sonne. Ich rede auch mal mit vollem Mund, verweigere Smalltalk und sage manchmal üble Dinge wie Drecksmistverdammter oder so, aber ich stehe für ältere Damen in der U-Bahn auf, kratze mir nicht in der Öffentlichkeit im Schritt und rotze nicht auf die Straße. Und ich stelle meine Füße und meine Einkaufstaschen auf den Fußboden, wenn es weniger Sitzplätze als Mitfahrer gibt.
Wenn das so weitergeht, werde ich sicherlich eine dieser blöden Meckerliesen, die ich selbst als Kind und Jugendliche ätzend fand. Diese unentspannten Weiber, die ständig der Meinung waren, sich überall einmischen zu müssen. Die der Meinung waren, Mädchen sollten nicht trampen und sich nicht selbst die Haare schneiden. Und vielleicht einmal kämmen oder adretter anziehen. Wenn meine Mutter etwas schief guckte, wenn ich ihr die Ergebnisse meiner selbst mit der Küchenschere produzierten Eigenfrisierkünste präsentierte, dann durfte sie das. Sie war - nee - ist ja meine Mutter. Aber ansonsten hatten wir die achtziger Jahre. Da sahen doch alle etwas merkwürdig aus. Oder?
Und irgendwelche alten Jungfern hatten mir da gar nichts zu sagen. Wenn ich meine Füße in der Bahn auf den Sitz..... Mist. Seht ihr? Das ist der Grund, warum ich mich derzeit nur schäme und noch nicht mecker. Bis zur gänzlich alten Jungfer habe ich noch mindestens drei Jahre. Hoffe ich. Ich befinde mich sozusagen in einem Borderlinezustand.
Aber wieso schäme ich mich eigentlich für andere Leute. Ich habe viel mehr Grund, mir selbst anständig die Augen aus dem Kopf zu schämen. Für den Zustand, in dem sich mein Auto heute befand, als es abgeholt wurde. Der rote Blitz ist verkauft. Ich bin wieder autolos und habe ein paar Probleme weniger, die da hießen: Karre springt nicht an, Benzinleitung muß entrostet werden, Sicherung springt raus wenn man die Lüftung anmacht und der TÜV ist fällig.
Das Autochen stand jetzt fast drei Monate unangetastet auf dem Parkplatz unter den Linden. Daß er rot ist, konnte man nur noch erahnen unter dem ganzen Dreck. Außerdem ist mir irgendwann eine Dose löslichen Kaffees neben dem Beifahrersitz ausgelaufen und ich habe es nicht rechtzeitig entfernt. Deswegen ist da ein unschöner braunschwarzer klebriger Haufen entstanden, der sich auch nicht mehr so leicht entfernen läßt. Und genau so ist der Wagen heute abgeholt worden. Und ich hab da auch noch Geld für bekommen. Nicht viel, aber immerhin.
Zum Glück konnte ich noch die gelbe Stoffente aus dem Kofferraum entfernen, bevor sich jemand originellen Ideen über meine Vorlieben hingeben konnte. Die Ente gehört der Tochter einer Freundin. Aber das weiß ja der Käufer nicht.
Ach, aber selbst schämen macht nicht halb so viel Spaß. Schämen wir uns lieber wieder für andere.
Besonders schämen kann ich mich für meine Mitmenschen, wenn ich fernsehe. Bei "nur die Liebe zählt" komme ich aus einer latenten Verkrampfung kaum noch heraus. Peinliche schräg gesungene Liebeslieder, tränenzerfurchte Leidensminen mit komm-zurück-Botschaft toppen wirklich jede Nachmittagstalkshow um ein vielfaches. Allein die Vorstellung, daß ich versehentlich irgendwann einmal mit jemandem zu tun bekäme, der glaubt, mir auf diesem Wege die Liebe beweisen zu können, läßt mich prophylaktisch würgen.
Hübsch finde ich dagegen die von Herrn Pflaume organisierten Familienzusammenführungen über tausende von Kilometern. Wiedersehensfreude, gern auch tränenreich, wärmt mein Herz. Trifft meine schon beschriebene Rührseligkeit ins Mark und ich weine völlig schamlos mit.
Aber schluchzende Oberlippenbärte, die ihrer Stufendauerwelle hinterhertrauern, finde ich peinlich.
Ist mir ja auch unangenehm.
6 Kommentare :
ohje.. das kenne ich auch alles, nur mit fast 45 darf ich das. Aber Du, die noch aus dem Bett hüpft wie ein junges Reh darfst dran noch nicht denken.
Ich wünsche dir eine schöne Woche :) und immer den Kopp hoch... die Ohren spitzen und die süße Nase in den Wind halten
Das wär ja auch noch schöner, wenn man das Tun und Handeln dieser Rotzkröten und Soziopathen vorbehaltlos gut heißen würde. Das wär ja so, als hätte man die letzten 20 Jahre nix dazu gelernt... Mein Lieblings-Illegal-Baggerloch ist schon verriegelt und verrammelt worden, weil diese kleinen Penner ständig alles vollgemüllt haben.
Du sprichst mir aus dem Herzen. Ich kann die kleinen, leider meißt 1,90m großen Arschkrampen auch nicht leiden die Ihr benehmen von Mike Tyson zu haben scheinen. Ich rege mich auch immer wieder gerne über die auf den Boden rotzenden Analmaden auf und freue mich schon auf mein Rentenalter wo ich aus vollem Halse die kleinen Kacker anrüpeln darf und die nur ihre drei mal gebrochene Nase rümpfen... Isch sach nur: Rezzzpekt!!!
So, so
Dreckmistverdammter ;D
so lange du den kaiser (also jetzt nicht den franz) wiederhaben willst, ist noch alles gut. auch dein einsatz auf den rängen in der nord und in der 3. halbzeit hinterher lassen nicht auf vorzeitige verkalkung schließen. und das sich für die schlechtigkeiten anderer schämen sollte per dekret eingeführt werden. dann würden sich vielleicht auch andere gedanken über ihre eigenen unzulänglichkeiten machen. bleib so
äh, natürlich soll es heißen: so lange du den kaiser NICHT wiederhaben willst . peinlichpeinlichpeinlich
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