Ich sitze beim Friseur. Das ist an sich nichts Ungewöhnliches. Dann und wann überkommt mich schon der Drang, die Zotteln ein wenig stutzen zu lassen. Aber heute habe ich Angst. Meine Hände sind schweißnass und ich versuche, den Fluchtreflex meiner Beine unter Kontrolle zu halten. Mein Herz klopft und ich bemühe mich, so cool wie irgend möglich zu schauen und mir meine Unsicherheit nicht anmerken zu lassen. „Atemwege freimachen und Sicherheit ausstrahlen“ mantra ich vor mich hin und sehe furchtsam aus dem Augenwinkel die Schere nahen. Jetzt heißt es „Augen zu und durch. Es geht los. Extrem-Haircutting in Alanya.
Geil.
Aus einer gemächlichen Gleichmütigkeit heraus, beschloss ich nämlich, meinem Leben mehr Aufregung und Abenteuer zu bieten. Immer nur Erholung macht doch nur müde. Das kann auf Dauer ganz schön schlauchen. Das sag ich Euch. Und leichtsinnig macht es leider auch.
Mit sicherem Blick erspähte ich den einzigen nicht-deutschsprachlichen Frisierschuppen in ganz Alanya. Nach radebrechenden Preisverhandlungen, die sowohl mich, als auch den Boss zufriedengestellt haben dürften, galt es, einen Übersetzer für meine Wünsche aufzutreiben. So ganz mochte ich das Zepter dann doch nicht aus der Hand legen und mein Wohl und Wehe in die Hände einer türkischen Schopfdesignerin.
Natürlich, was Friseure können, können nur Friseure, dachte ich. Natürlich sieht eine Friseurin nach der Aufforderung „Spitzen schneiden“ sofort den Grundschnitt und macht ihn wieder so wie er gehört....mooment. Das hat sogar in Deutschland noch nie jemand geschafft. Sollte ich wirklich vertrauen? Lieber nicht. Adventure hin oder her, immerhin muß ich hinterher mit dem neuen Kopf rumlaufen.
In dem Besitzer des Nachbarladens war schnell eine türkische Flüsterpost gefunden. Mein Adrenalin stieg bereits bedenklich Richtung Überlauf. Ist er die richtige Wahl? Sicher nicht. Nicht nur, dass er ein Mann ist, und deswegen den zarten Nuancen einer Frauenfrisur gegenüber als blind gelten dürfte, er sieht auch noch so aus, als wäre er mittlerweile dazu übergegangen, seine eigenen Haare einfach bei Bedarf in Schulterhöhe abzubrechen. Ich möchte flüchten.
Scheiß egal. Einfach kann jeder.
Mein derzeitiger Geisteszustand „Angst“ lässt mich leider sehr gründliche Anweisungen geben: Spitzen schneiden. So wie vorher. Seitenscheitel links, schräg, Mundhöhe. Die vorhandenen Stufen neu. Zwei Zentimeter ab. Grundschnitt halblang. Die unteren Haare hinten etwas länger.
Stufenweise übersetzt der Zottel und versucht nebenbei, mich damit zu beeindrucken, dass er Günter Grass gelesen hat. Ich lasse mich nicht ablenken, bewerfe die Friseuse synchron mit bedeutungsvollen Blicken und untermale meine Wünsche mit für sie wohl verwirrenden Gesten. Sie wirkt zunehmend konfuser. Mistmist. Das kann ja was werden.
Und jetzt geht’s los. Unter dem Umhang verkrampfe ich meine Hände um die Stuhllehne und hoffe, dass wir uns verstehen. Sie fängt an. Hinten. Die ersten genehmigten zwei Zentimeter segeln abwärts. Jetzt ist es zu spät. Wie ein Opfertier füge ich mich meinem Schicksal und sie entspannt zunehmend und schnibbelt mutiger drauf los.
Hm. Das Stück, was sie grade schnitt, das waren doch keine zwei Zentimeter. Das waren doch mindestens sechs. Sie schneidet weiter und ich starre wie paralysiert in den Spiegel. Brav kämmt sie den Pony zur Seite und schneidet ihn links auf die gewünschte Länge. Dann stuft sie sich einmal um den Kopf herum und...., es passiert, was passieren musste. Der Pony auf der rechten Seite fällt ihrem Enthusiasmus zum Opfer und ist jetzt auf Augenhöhe gestutzt. Upps.
Ich glaubs nicht. Der Übersetzer ist weg, schimpfen auf Deutsch bringt nichts und mit halber Frisur kann ich nicht gehen. Ich sacke in mich zusammen und betrachte nur noch furchtsam, in welche Richtung das ganze noch geht. Wellen unterschiedlicher Gefühle durchströmen meinen Körper. Das ist ja besser als Bungee-Jumping. Oh, anscheinend hat sie etwas großzügig gestuft und beginnt nun fröhlich, den Rest des Haares anzugleichen. Strähne um Strähne fällt. Nur die Nackenlocken lässt sie stehen. Was wird das hier? Vokuhila?
Jetzt greift sie zur Stufenschere und hämmert damit beherzt durch das noch vorhandene blond. Der Haarberg zu meinen Füßen wächst und wächst.
Ich weiß nicht, ob ich lachen oder weinen soll und entscheide mich dafür, weiter ausdruckslos dem Treiben zu folgen. Bungee-Jumping hat den Vorteil, dass es schnell vorbei ist. Dies hier gleicht der chinesischen Wassertropfenfolter. Langsam und stetig. Grausam. Gemein. Aber ich habe es ja nicht anders gewollt. Immer hintendrauf. Jawohl.
Fassungslos sehe ich, wie sie beginnt, meine deutlich gekürzte Haarpracht mit der Rundbürste zu bearbeiten. Hier hält sie sich wunderlicherweise an die anfangs gegebenen Anweisungen, die natürlich in keinster Weise mehr zu den verbliebenen Haaren paßt. Gott seh ich bescheuert aus.
Meine Haare erschlaffen ebenso wie ich. Die Rundbürstenexperimente verschaffen der Dame wohl keine Befriedigung. Jetzt schmiert sie komisches Zeug in den Schopf und fängt noch einmal von vorne an zu föhnen. Meine Haare spielen aber nicht mehr mit und drücken sich nur noch angstvoll an den Kopf. Versuchen schier hineinzukriechen. Als sie anfängt, meinen Hinterkopf zu toupieren, beschließe ich, das Abenteuer an dieser Stelle zu beenden.
Katrin sitzt vorne im Laden und liest. Als ich auf sie zustürme, um meine neu erworbene Kurzhaarfrisur schnellstmöglich aus dem Laden in Sicherheit zu bringen, sehe ich in ihrer Mimik, wie sie versucht, eine angemessene Reaktion auf meine Haarpracht zu finden. „Oh“, sagt sie. „Ungewohnt siehst Du aus. Aber interessant“.
Nun brauche ich einen Raki. Und Waschbecken und Föhn, um Schadensbegrenzung zu betreiben.
Angemessen verstrubbelt und leicht angetrunken ist der Anblick gleich viel leichter zu ertragen. Ich gewöhne mich von Minute zu Minute dran. So schlimm ist das gar nicht.
Wächst ja wieder. So ist das mit Abenteuern. Wenn ein Bungee-Seil reisst, sind die Folgen nachhaltiger.
Hoffentlich.
16 Kommentare :
Du hast mein vollstes mitgefühl! kommt wahrscheinlich genausogut rüber wie damals, als ich im kindergarten beschloss, meine haare selbst zu schneiden.. aber: bittebittebitteBITTEBITTEBITTE ein bild davon!!! muss ja nicht gleich die mütze im schnee im blogkopf ersetzen, und ich lache auch ganz bestimmt nicht, ehrenwort!!
einfach so in den blog setzen reicht völlig!
Genau, jetzt wollen deine treuen Leser auch ein Beweisfoto sehen!
zeigen .... einfach nur zeigen :)
du hast die haare schön,
du hast die haare schön,
du hast du hast
du hast die haare schön
;o)
du weißt doch: einen schönen menschen entstellt nichts!
So wie in den einschlägigen Frauenmagazinen: vorher - nachher!!! Bitte, bitte, bitte ein Bild!!!
Hihi.... äh .... Verzeihung .... hehem ..... aaaaarme Bine .... [grinsenrunterschluck] .... Du hast mein vollstes [hust] Mitgefühl ....
Lieben Gruß !
@all, okehokehokeh, sobald ich die fotos habe, die noch auf cd gebrannt werden, stell ich eins ein. ich fürchte allerdings, daß ich mir ein foto der frisettenföhnaktion unter todesstrafe verbeten habe. "leider" im nachhinein, ja. aber wohl verständlich in der situation *g.
@mahort, ich hab mir mit siebzehn noch selbst die haare geschnitten. ob das schön war? nö. aber in den achtzigern sahen wir doch alle irgendwie scheiße aus ;)
@langer, ich denk jetzt grad an agnes...."ja gut, sie ist ziemlich dick, aber schöne haare hat sie, und einen guten charakter"... ;)
@mike, warum du dich in einschlägigen frauenmagazinen auskennst, mußt du jetz aber noch mal erklären
@markus, jaja, wer den schaden hat, braucht für den spott nicht zu sorgen *g. aber in echt, ich finds gar nicht mehr so schlimm. ich bin fast geneigt zu sagen "im gegenteil", denk da aber noch ein wenig drüber nach ;)
ich sag erst was dazu wenn ich es gesehen hab... ;-)
@kühles,kurzes,Blondes ;-): die einschlägigen Hefte liegen überall rum; zu Hause, beim Friseur, beim Arzt! Man(n) ist ja auch interessiert an Themen, die eine Frau bewegt.....
ja irgendwo in den 80ern, meine liebe kühleblonde, da war ich auch mal 17. aber im kindergarten, da war ich 5, und hatte keine ahnung vom haareschneiden... und vor allem keinen spiegel vor mir!
ole said...
also her mit dem beweisfoto...
musste eh machen, falls es vor gericht geht...
ich stell es dann einfach in diesen beitrag wenn ichs hab.
Na du bist jetzt das beste Beispiel, wie man bestraft werden kann, wenn man mutig ist.Ich fühle mit dir. ;-)
Es ist schon schwer genug, einem Friseur klarzumachen, wie die Frisur hinterher aussehen soll... selbst wenn keine Sprachbarriere im Weg steht... aber sowas?!
Nee, da würde ich lieber Bungee-Jumping vorziehen.
Früher hatte ich beim Friseur ähnliches erlebt.
Das hast Du sehr gut beschrieben, wie man sich fühlt wenn man eigentlich nur noch Stillhalten kann und dieses Bangen und Hoffen, es möge nicht zu kurz werden, durch die Menge der abgeschnittenen Haare immer weiter enttäuscht wird.
Immer das zitat von Robesspiere vor Augen halten:
"So lasset ihr, die ihr hier eintretet alle Hoffnungen fahren..."
Das gilt heute wohl immer noch für einen Friseursalon... hihi
xaverius, eigentlich ist es ein liebes altes gefühl aus kindertagen, wenn die mutter einem die haare schnitt und die hoffnung fragte, ob der pony trocken genug ist, daß er da verbleibt wo er geschnitten wurde oder sich noch einen zentimeter richtung haaransatz hochzieht. ein zentimeter ist bei einer kleinmädchenstirn eine menge ;)
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